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[12/2019] Ein Überblick aktueller Partizipationsformate der Politik und Zivilgesellschaft in Berlin



Bedarf für Bürger*innenbeteiligung steigt


Berlin bewegt sich. Bis 2030 sollen 500,00 neuen Einwohner*innen dazukommen – denn Berlin gilt im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen dank günstiger Lebenshaltungskosten und einer stark anwachsenden Kreativ- und Innovationsszene als äußerst attraktiv. Das zeigt sich auch an den Gründungszahlen: etwa 40,000 Gewerbeneuerrichtungen werden im Jahr geschätzt.

Mit diesen neuen Einwohner*innen- und Startup-zahlen steigt dementsprechend der Wohnungs- und Büroraumbedarf. Diese zunehmende Nachfrage soll nun durch Partizipationsinitiativen begleitet werden, um lokale Nutzungskonflikte zu vermeiden. Solche Initiativen werden, je nach Träger – sei es die Stadtverwaltung, ein Wohnungsunternehmen oder eine zivilgesellschaftliche Bewegung – unterschiedlich aufgestellt.

Um die aktuelle städtischen Ansätze für Bürgerbeteiligung aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, begeben wir uns auf eine Reise durch Berlin.


Bürger*innenbeteiligung der Senatsverwaltung


Laut Berliner Senat werden zur Sicherung des Weiteren Wohnraumbedarfes Neubau und Nachverdichtung gebraucht. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen hierfür neue Projekte entwickeln um 50,000 Wohnungen in 14 neuen Stadtquartieren entstehen zu lassen. Um mehr Akzeptanz bei den Bürger*innen für den Neubau zu schaffen, setzt die Verwaltung auf Partizipation und Mitgestaltung.  


Formelle Beteiligungsverfahren


Formelle rechtliche Beteiligungsverfahren sind bei Vorhaben, die mithilfe des Bebauungsplans gebaut werden müssen, schon mitgedacht. Wie Bürger*innenbeteiligung in weiteren Vorhaben auszusehen hat, erarbeitete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in einem 2017 angestoßenen Prozess. Gemeinsam mit der Berliner Stadtbevölkerung entstanden hierdurch Leitlinien, die am 03. September 2019 nun final beschlossen wurden. Das Umsetzungskonzept soll bis Mitte 2020 erarbeitet werden


Beteiligungsformate Stadtforen, Wanderausstellungen und Werkstätte


Weitere Formen des Dialogs mit Bürger*innen ergänzen die Leitlinien: die Stadtforen begleiten seit 2017 die Leitlinien unterstützend und dienen der interessierten Öffentlichkeit zum fachlichen Austausch. Die seit Juli 2019 Wanderausstellung „Berlin Baut Auf Dich“ holt eine breite Meinungsvielfalt ein. Ähnlich will die Stadtwerkstatt als Pop-Up Werkstatt mit Festivalflair dazu dienen, sich über aktuelle Projekte der Senatsverwaltung zu informieren und auszutauschen.


Pilotprojekte


Die Senatsverwaltung möchte auch durch Pilotprojekte öffentliche Räume kooperativ entwickeln. Beispiele sind das Projekt Siemensstadt 2.0, bei dem sich zum ersten Mal die privaten Partner auf einen Beteiligungsprozess in den Arbeitsgruppen geeinigt haben.


Bei der Errichtung der Zentral und Landesbibliothek Berlins wird Beteiligung von Anfang an mitgedacht. Durch Informationsveranstaltungen, Planungswerkstätten und einer ersten Machbarkeitsstudie sind die beteiligten Verwaltungen und Institutionen im andauernden Austausch mit der Öffentlichkeit.


Auch die Erneuerung des Haus der Statistik“ soll partizipativ gestaltet werden. Laut Roman Konzack, Referent für Kommunikation und Bürgerbeteiligung, soll damit „ein funktionaler Monolith in ein Stück Stadt verwandelt werden“. Die lokale Initiative von Künstler*innen und Kreativen stieß auf Interesse von Seiten der Senatsverwaltung. Nun wird der bisher geplante Abriss neu bedacht. Stattdessen entsteht „bunt gemischt und gemeinsam“ ein Ort für alle: Kitas, Ateliers, Wohnungen und ein neues Rathaus werden gemeinsam gestaltet.


Inwiefern in diesen Projekten Beteiligung als Orte der Ko-produktion entstehen werden, lässt sich zukünftig zeigen. 


Bürger*innenbeteiligung der landeseigenen Wohnungsunternehmen


Leitlinien der Landeseigenen


Von Seiten der landeseigenen Wohnungsunternehmen wurde informelle Beteiligung bei Neubauvorhaben 2017 von den Landeseigenen erprobt. Die Leitlinien für Partizipation im Wohnungsbau wurden im Rahmen des Trialog-Verfahrens ausformuliert. Sie beinhalten Beteiligungsstufen und fassen die wichtigsten Qualitätskriterien für Beteiligung zusammen.

Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften nutzen das erarbeitete Konzept, um ihre Mieter*innen und interessierte Bürger*innen über neue Bauvorhaben sowie Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen zu informieren und ihre Meinungen und Hinweise mit aufzunehmen.


Mieter*innenräte


Weiterhin sind 2017 im Rahmen der Kooperationsvereinbarung mit dem Berliner Senat Mieter*innenräte und Mieter*innenbeiräte ins Leben gerufen worden. Diese Gremien sollen Bürger*innen auch im formellen Rahmen Entscheidungsmacht geben langfristig Projekte mitzutragen. Somit kann Beteiligung verstetigt werden, denn Mieter*innen bekommen eine Stimme um gemeinsam zu bestimmen und verwalten.


Evaluation der Leitlinien


Die Leitlinien werden 2020 wissenschaftlich evaluiert und eventuell an aktuelle Bedarfe angepasst. 


Monique Leistner, Stellvertretende Pressesprecherin und Referentin für Partizipation der Gewobag, konnte berichten, wie das Partizipationsverfahren im letzten Jahr bei verschiedenen Bauvorhaben umgesetzt wurde: viele der Veranstaltungen werden beispielsweise nicht von allen Zielgruppen gleichermaßen besucht. Hier erprobt das Unternehmen verschiedenen Methoden der Jugendpartizipation, um auch möglichst viele Generationen einzubeziehen.


Deutlich herausfordernder ist es, zukünftige Mieter*innen zu befragen. Bisher wurden digitale Beteiligungsansätze von der Gewobag noch nicht eingesetzt.


Bürger*innenbeteiligung Bezirk Mitte


Auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte entwickelte 2017 ihre eigenen Leitlinien zur Bürger*innenbeteiligung. BVV Vertreter Oliver Kociolek bringt uns seine Erfahrungen nahe: in der Umsetzung von Partizipationsprozessen wird deutlich, wie wichtig Ressourcen und Fähigkeiten für die gute Ausgestaltung sind, damit etwa Vorhabenlisten aktuell gehalten werden und Resultate von Bürger*inbeteiligung online einsehbar sind.


Weiterhin wurden verschiedene Ansätze erprobt, um bei Prozessen die „Stillen“ auch zur Diskussion zu ermutigen, sodass nicht immer die „Lautesten“ zu Wort kommen. Um verschiedene Bevölkerungsgruppen zu erreichen, wurde darauf geachtet, auch Kinder durch spielhafte Übungen mit einzubinden und die Prozesse mehrsprachig zu dokumentieren.


Partizipationsansätze und Kritik von Seiten der Zivilgesellschaft


Die oben genannten Initiativen deuten auf ein reges Interesse an Bürger*innenbeteiligung hin. Dennoch werden einige Projekte, laut Zivilgesellschaft, nicht öffentlich genug diskutiert: Das Projekt Tempelhofer Feld zeigt, dass partizipative Ansätze wachsen müssen.


Durch zivilgesellschaftliches Engagement ist in 2014 der Volksentschied zum Tempelhofer Feld ins Leben gerufen worden, der Bebauungspläne um das Tempelhofer Feld infrage stellte. Die Bebauungspläne erzeugten Proteste in der Bevölkerung, sodass beim Volksentschied eine Mehrheit „Nein“ wählte.


Dennoch ist es für die aktuellen sozial-kulturellen Projekte, die auf dem Tempelhofer Feld agieren, schwierig, sich langfristig zu etablieren. Margarete Heitmüller, Aktivistin der Initiative 100% Tempelhof und des Tempelhofer Volksentscheides, betonte, dass sich manche Initiativen – wie der Schäfer Knut Kucznik  – mehr Unterstützung gewünscht hätten. 


Forschungsprojekt “Roof Water Farm”


Verschiedene Beispiele in Berlin zeigen, wie gemeinschaftliche Projekte und die Gestaltung von öffentlichem Raum für Bürger*innen zu neuer Lebensqualität in der Stadt führen können. Das (Forschungs-)Projekt „Roof Water Farm möchte lokales Wassermanagement verbessern und baut durch Aquaponic Farming Lebensmittel an. Leiterin des Projektes Dr. Anja Steglich bestätigt uns, wie der Städtebau somit positiv Umweltproblemen entgegenwirken kann. Zugleich erwerben Bürger*innen durch den Anbau von Gemüse oder Fisch neue Gestaltungskompetenzen, hinterfragen ihr Konsumverhalten, und erfahren sozialen Zusammenhalt.


Mitgestaltung des öffentlichen Raums


Auch bei der Gestaltung von öffentlichen Orten können Bürger*innen von Anfang an mitreden. Z.B wurde der Gleisdreieck Park als Mischnutzung geplant, um innenstädtisches Leben zu fördern und dem Phänomen der Schlafstadt entgegenzuwirken. Auf einer Stadtführung mit Christian Hajer wird deutlich: Der Park vereint zahlreiche Funktionen: er ist ein wichtiger Lüftungskorridor zur Kühlung der innenstädtischen Zentren (Klimaregulierung), und vereint Freizeit und Erholung mit Fahrradwegen, Kleingärtnerkolonien, einem Café mit Coworking-Space (BRLO Brwhouse) und geplanten Büroräumen.


Fazit: Bürger*innenbeteiligung in der Stadtentwicklung Berlins


Partizipation als Grundverständnis darf nicht zur scheinheiligen Teilnahme führen, bei der kein beidseitiger Austausch stattfindet. Ein gemeinsames gestalten erfordert Kooperation, Teilhabe und Ko-produktion – im Idealfall sogar eine Eigenverantwortung der Bürger*innen. Der Senat, die Bezirke und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften versuchen mit ihren neulich eingeführten Partizipationsverfahren diesem Defizit entgegen zu wirken. Berlin bleibt, was das Verständnis für Bürger*innenbeteiligung betrifft, in Bewegung.   


Minsker Besuch in Berlin. Vom 26. – 29. November besuchten die belarussischen Partner aus Minsk im Rahmen des bilateralen Projektes „Die Zukunft der Stadt“ Berlin. Gemeinsam lernten wir verschiedene Facetten der Stadtentwicklung und Bürger*innenbeteiligung kennen. Wir besuchten eine Vielzahl an sehr unterschiedlichen Projekten und Personen mit perspektivenreichen Ansätzen und Meinungen. Darunter waren ehrenamtliche Initiativen, Verwaltung, Wohnungsbaugesellschaften, und nachhaltige Forschungsinitiativen vertreten. Dieser Artikel ist aus den Gesprächen, Führungen und Besuchen der 3 Tage entstanden. 

Die finalen Ergebnisse des Projektes “Zukunft der Stadt” werden im März 2020 veröffentlicht


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